Cannes, Berlin, Assen, Lucca – im Jahr 2025 habe ich nicht nur an der Spiel-des-Jahres-Zeremonie teilgenommen, sondern war auch bei den drei wichtigsten Jury-Awards außerhalb Deutschlands dabei. Der As d’Or wurde bereits im Februar an der Côte d’Azur vergeben. Im Herbst war ich bei der Verleihung des Nederlandse Spellenprijs in Assen und des Gioco dell’Anno in Lucca. Zudem habe ich die Gelegenheit genutzt, mir die länderspezifischen Spielekulturen anzuschauen. Meine Eindrücke habe ich in einem Artikel für die spielbox aufgeschrieben, der in der aktuellen Ausgabe erschienen ist, ein Bericht aus Cannes war bereits in der spielbox Nr. 2 zu lesen.

Diskussion mit Cynthia Reberac (As d’Or) und Fabio Cambiaghi (Lucca Games Awards). Neben dem Sofa: Die Übersetzerinnen und Moderatoren.
Im Rahmen der Lucca Comics & Games wurde auf einem Panel über einen Vergleich der Spieleawards in Europa diskutiert. „Ich habe zwei Hüte auf“, sagte Cynthia Reberac. Sie leitet sowohl das Festival des Jeux in Cannes als auch die Jury des As d’Or – Jeu de l’Année, nimmt jedoch nicht an den Entscheidungen über die Spiele teil. Ein solche feste Verbindung zwischen dem Spiel des Jahres und der Spielemesse in Essen kennen wir nicht, allerdings gab es in den Anfangsjahren wichtige Berührungspunkte. Jürgen Herz, Mitbegründer der Jury und aus Essen stammend, trug maßgeblich dazu bei, dass die erste Preisverleihung 1979 in der Volkshochschule (VHS) der Ruhrgebietsstadt stattfinden konnte. Als 1983 die erste Spielemesse stattfinden sollte, die als Lesertreffen der im Vorwärts-Verlagshaus erscheinenden spielbox geplant war, trat er mit dem Vorschlag an den Chefredakteur heran, auch dieses Event in der Essener VHS durchzuführen, und knüpfte mit Erfolg die nötigen Verbindungen.

Mit Giorgia Moroni, Presidente der Jury Gioco dell’Anno, Vieri Masseini, Stefano De Carolis und Samuele Tabellini. De Carolis von Giochi Uniti ist Verleger des Hans-im-Glück-Spiels Botanicus. Masseini und Tabellini sind die Autoren des Siegerspiels beim Gioco dell’Anno und in der Kennerspielkategorie des Nederlandse Spellenprijs.
In Italien ist der Gioco dell’Anno Teil der Lucca Comics & Games und ähnelt somit der Situation in Cannes, wie Fabio Cambiaghi in der Panel-Diskussion erzählte. Ein Unterschied ist, dass die italienische Jury mit Giordana Moroni eine eigene Vorsitzende hat und diese Tätigkeit nicht in Personalunion von der Messeleitung ausgeübt wird. Fabio Cambiaghi ist Vorsitzender der Jury der ebenfalls zu den Lucca Games Awards zählenden Auszeichnung für den Board Game Designer of the Year (BGDotY), die erstmals 2025 verliehen wurde (und deren Jury ich als internationaler Vertreter angehöre).

Das große Zelt der Lucca Games ist der größte Ausstellungsbereich des bedeutendsten popkulturellen Festivals Italiens.
Die französischen und italienischen Preisverleihungen finden jeweils im Rahmen einer festlichen Galaveranstaltung statt und sind fester Bestandteil des Festivals des Jeux beziehungsweise der Lucca Comics & Games. Beim Spellenprijs findet die Award-Zeremonie hingegen an wechselnden Orten in der niederländischen Provinz statt, zuletzt im Spielzeugmuseum in Terschuur und in der Spellenwereld in Assen. Das war aber nicht immer so, wie mir der Jury-Vorsitzende Niek Ederveen erzählte. Bis zur Corona-Pandemie wurde der Preis am Vorabend des Spellenspektakel vergeben, der großen niederländischen Spielemesse. Das war jedoch nicht besonders festlich, da zeitgleich an den Nachbarständen noch der Aufbau stattfand. Durch die vier Wochen früher terminierte Preisverleihung hätten die Verlage nun die Möglichkeit, sich vorzubereiten und die Siegerspiele auf der Utrechter Spielemesse angemessen zu präsentieren, so Ederveen.
Um den niederländischen Spielepreis zu finanzieren, erhebt die Jury von den Verlagen einen freiwilligen Beitrag von 125 Euro bei einer Teilnahme an der Preisverleihung und erhält Freiexemplare aller neun nominierten Spiele. Diese werden dann im Rahmen einer Lotterie auf dem Spellenspektakel in der Messe Utrecht verlost. Dort betreibt die Jury einen großen Stand, der ihr kostenfrei zur Verfügung gestellt wird.

Niek Ederveen, Vorsitzender der Jury des Nederlandse Spellenprijs, verlost Spiele auf dem Spellenspektakel in Utrecht.
Der Nederlandse Spellenprijs wurde diesem Jahr 25 Jahre alt. Ursprünglich war der Preis eine Internetumfrage, für die eine Jury zuvor eine Auswahlliste zusammenstellte. Als der Bekanntheitsgrad des Preises größer wurde, begannen einzelne Verlage, gezielt zur Teilnahme zu mobilisieren. Da es zudem möglich war, mehrfach abzustimmen, litt die Glaubwürdigkeit des Ergebnisses. Erwin Broens war von Anfang an dabei und hat mitgeholfen, den Award auf ein Jurymodell umzustellen. Er erinnert sich noch gut daran, wie er sich damals während der Spiel in Essen mit deutschen Jurymitgliedern traf, um sich über die Arbeitsweise auszutauschen. Essen, die Hauptstadt des Brettspiels, liegt kaum mehr als 60 Kilometer hinter der Grenze. „Wir haben die Spiele immer schon auf Deutsch gespielt, bevor sie in den Niederlanden erschienen sind“, erinnert sich Erwin Broens.
Für den Gioco dell’Anno, der sich bei seiner Gründung ebenfalls am deutschen Vorbild orientierte, gilt Ähnliches. Zwar gibt es auch italienische Spiele von namhaften inländischen Verlage wien Cranio Creations, dV Games, GateOnGames oder Horrible Guild. Es dominieren jedoch die lokalisierten Spiele aus dem Ausland. „Sehr oft wurden einige Titel bereits vor ihrer Veröffentlichung in Italien in englischer oder deutscher Ausgabe getestet, da viele unserer Jurymitglieder an Veranstaltungen wie der Messe in Essen teilnehmen“, sagt Giordana Moroni, die Vorsitzende der italienischen Jury. Gleichwohl sei es wichtig, auch die italienische Ausgabe zu spielen, denn „die Lokalisierung ist ein wichtiger Faktor im Bewertungsprozess“.

Frecciarossa, Eurostar, ICE, NS Intercity, ÖBB Nightjet, TGV inOui: Zwischen dem Ruhrgebiet und den europäischen Spielemessen und Preisverleihungen habe ich 2025 Tausende Bahnkilometer gesammelt.
Wer über das Spellenspektakel in Utrecht läuft, sieht, dass der dortige Spielemarkt noch stärker als in Deutschland, Frankreich oder Italien von lokalisierten Titeln dominiert wird, die zuvor bei ausländischen Verlagen erschienen sind. Niederländische Eigenproduktionen findet man nur selten. Wenn man die multinationalen Verlage Asmodee, Goliath und Jumbo außer Acht lässt, ist 999 Games der bedeutendste Aussteller der Messe in Utrecht. Niki Plijnaar ist bei dem Verlag als „Head of Procurement“ für den Erwerb und die Entwicklung der lokalisierten Spiele zuständig und hat deshalb Kontakte in viele Länder, etwa auch zu Giochi Uniti, dem für Lokalisierungen wichtigsten Verlag in Italien. Es ist für die beteiligten Verlage oft von Vorteil, wenn man sich abspricht und die einzelnen Länderausgaben gleichzeitig produziert werden, auch wenn die Märkte überall unterschiedlich funktionieren. In den Niederlanden ist das Brettspiel in der Gesellschaft vergleichsweise breit verankert. Das sei in Italien nicht der Fall, sagt Plijnaar. Da ein Teil ihrer Familie dort lebt, weiß sie: „In Italien findet das Leben im Freien statt.“
Mehr über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der niederländischer und italienischer Spielekultur sowie über die Preisverleihungen in Assen und Lucca könnt ihr in der spielbox Nr. 7 Dezember 2025/Januar 2026 nachlesen. » spielbox


