Um Spielekritik, die Jury Spiel des Jahres und die Zukunft der Branche ging es in dem Interview, das Redakteurin Astrid Diesen für das Heft 141 des Fachmagazins Fairplay geführt hat. » Fairplay
Warum bist du Spielekritiker geworden? Was gefällt dir an der Tätigkeit des Spielkritikers? Und was gefällt dir vielleicht weniger?
Ich war Redakteur des niederrhein magazins, der Zeitschrift der niederrheinischen Jusos. Wir waren links, aber mit dem dogmatischen Marxismus konnten wir nichts anfangen. Uns imponierte Paul Lafargue, der sich mit seiner provokanten Forderung nach einem „Recht auf Faulheit“ gegen die Fixierung seines Schwiegervaters Karl Marx auf den Wert der proletarischen Arbeit wandte. Als undogmatische Jusos ging es uns darum, dass das Leben nicht nur aus „entfremdeter“ Erwerbsarbeit besteht, sondern auch aus Freizeit, Ehrenamt, Familie und sogar dem Nichtstun. Was ist die womöglich intelligenteste Form des zweckfreien Tuns? Ein gutes Brett- oder Kartenspiel! Deshalb fing ich 1991 an, über Spiele zu schreiben. Kreml, eine geniale Satire auf das „gerontokratische“ Sowjetsystem, gehörte zu meinen ersten Spielekritiken. Spiele, die für Emotionen sorgen und Geschichten erzählen, rezensiere ich am liebsten. Auch ein Verriss geht flott von der Hand. Eine brauchbare Besprechung für die vielen mittelmäßigen bis mittelguten Spiele zu verfassen, ist hingegen oft mühsam.
In der Rückschau: Welche Rezensionen würdest du heute ganz anders schreiben? Weil damals zu positiv oder zu negativ oder zu wenig positiv oder negativ.
Mein liebstes Spiel ist immer die nächste Neuerscheinung. Das war schon vor meiner Tätigkeit in der Spiel-des-Jahres-Jury so. Ich komme fast nie dazu, ein älteres Spiel auf den Tisch zu bringen. Somit bleibt es mir erspart, mit Enttäuschung festzustellen, dass ein von mir einstmals hochgelobtes Spiel aus heutiger Sicht eher als mäßig zu bezeichnen ist.
Die Preisverleihung zum Spiel des Jahres fand in diesem Jahr erstmals am frühen Samstagabend statt. Was waren die Gründe für die Terminänderung?
Ich hatte mich schon immer darüber gewundert, dass die Preisverleihung an einem Montag um 10:30 Uhr stattfindet. Erklärt wurde mir dieser ungewöhnliche Zeitpunkt damit, dass die Preisverleihung ursprünglich eine Pressekonferenz war. Über die Jahre wandelte sich dann der Ablauf immer mehr von einer bloßen Mitteilung der Siegerspiele hin zu einer Veranstaltung zu Ehren der Gewinnerinnen und Gewinner, die längst auch per Stream öffentlich verfolgt werden kann. Deswegen war es nur konsequent, vom Montag weg und stattdessen auf einen Wochenendtermin zu gehen.
Hat die Jury schon mal über externe Laudatoren nachgedacht? Falls ja, welche?
Das Spiel des Jahres ergibt sich ja nicht aus einer Abstimmung von tausenden Leuten, wie beispielsweise beim Oscar. Deshalb sind Analogien schwierig. Sondern eine unabhängige Jury wählt unmittelbar vor der Preisverleihung das Siegerspiel und einigt sich auf eine Begründung, warum das Spiel besonders herausragend ist. Auch die einzelnen Jurymitglieder veröffentlichen ihre Kritikermeinungen zu diesem Spiel, was sehr wichtig für die Transparenz ist. Was soll da ein externer Laudator, beispielsweise der Vorjahresgewinner, tun? Die Jurybegründung vorlesen? Das scheint mir auch nach längerem Nachdenken nicht besonders sinnvoll zu sein.
Die Preisverleihung zur Prime Time war schon eine Überraschung. Gibt es Überlegungen, der Veranstaltung mehr „Glamour“ zu verleihen?
Die Preisverleihung hat sich über die Jahre schon immer schrittweise verändert und weiterentwickelt. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich persönlich lege aber keinen Wert auf eine verpflichtende Abendgarderobe oder prunkvolle Trophäen statt einfache Holzpöppel, falls das mit „Glamour“ gemeint ist. Guten Ideen, wie wir die Spiele und ihre Autorinnen und Autoren – völlig unabhängig von ihrem „Glamour-Faktor“ – noch mehr in den Mittelpunkt rücken können, stehe ich offen gegenüber.
Wie kommen die Spiele eigentlich zu dir? Und wo bleibst du damit?
Jedes Jahr erscheinen mehr als 300 deutschsprachige Spieleneuheiten – Neuauflagen, Kinderspiele und Erweiterungen nicht mitgerechnet. Alle zu spielen, schaffe ich nicht. Sondern wir haben eine Arbeitsteilung innerhalb der Jury. Ein Spiel, wo nach den ersten Partien schon feststeht, dass es garantiert nicht zur Spitze eines Jahrgangs gehört, muss nicht von sämtlichen Jurymitgliedern ausprobiert werden. Ich wähle im Laufe eines Jahres gut 200 Spiele aus und bitte die Verlage, sie mir zuzuschicken. Langfristig behalte ich pro Jahrgang weniger als zehn Titel. Die anderen Spiele spende ich an die Falken, die in Düsseldorf die Ludothek „Spielerei“ betreiben.
Wohin wird sich aus deiner Sicht das Brettspiel und die Brettspielbranche entwickeln?
Corona und die Krise in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine haben vieles verändert. Während der Pandemie waren die Spiele ein Krisengewinner. 2020 und 2021 wurde bei den Erwachsenenspielen ein kumuliertes Umsatzplus von sagenhaften 34 Prozent verzeichnet – ohne die Lieferkettenprobleme wäre es noch mehr gewesen. 2022 werden wir von solchen Zahlen weit entfernt sein. Zwar werden viele Menschen die neu- oder wiederentdeckten Brettspiele auch künftig auf den Tisch bringen und auch neue Spiele kaufen. Aber das Spiel steht jetzt wieder in Konkurrenz zu Freizeitaktivitäten, auf die man während der Pandemie verzichtet hat. Dies gilt sowohl für das zeitliche als auch das von der hohen Inflation betroffene finanzielle Budget. Gut ist, dass ein Brettspielabend – verglichen mit Restaurants, Konzerten und Urlaubsreisen – ein recht preisgünstiges Vergnügen ist. Ich bin jedenfalls optimistisch, was die langfristige Entwicklung angeht.