Erst gewinnt das digitale Dorfromantik beim Deutschen Computerspielpreis (DCP), anschließend wird es als analoge Umsetzung Spiel des Jahres: Da sei etwas ganz Besonderes geschehen. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man die diesjährige Preisverleihung zum Spiel des Jahres und insbesondere die anschließende Berichterstattung verfolgt hat. Aber der Eindruck kann trügen. Für die Bewertung der spielerischen Qualität des Dorfromantik-Brettspiels ist dessen digitale Herkunft komplett irrelevant. Und sogar irreführend, wenn man nicht weiß, dass die digitale Dorfromantik-Idee mit seinen Carcassonne-Anleihen aus der analogen Brettspielwelt stammt.
Außerdem gibt es zwischen dem DCP und dem Spiel des Jahres noch ganz andere Unterschiede. Während das analoge Spiel auf der Preisverleihungs-Bühne mit einem eher schlichten Pöppel aus Buche bedacht wurde, gewann dessen digitaler Verwandter beim DCP 2021 ein vom Steuerzahler und der Computerspielindustrie finanziertes Preisgeld in Höhe von 115.000 Euro. Obwohl Dorfromantik damals gar nicht den Hauptpreis bekam, sondern in zwei der 14 weiteren Kategorien gewann, summierte es sich: 60.000 Euro gab es für den Sieg in der Kategorie „Bestes Debüt“, 35.000 Euro für den Sieg bei „Bestes Gamedesign“, plus 20.000 Euro für die Nominierung in der Kategorie „Bestes Familienspiel“.
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Im Unterschied zum Computerspielpreis ist im Bundeshaushalt für das Gesellschaftsspiel keinerlei Geld vorgesehen, was auf eine bedauerliche Geringschätzung oder Missachtung des analogen Spielens durch Teile der Politik hindeutet. Und Geld von den Spieleherstellern gibt es auch nicht, weil der Spiel des Jahres e.V. eine strikte Unabhängigkeit von den Verlagen pflegt, was zum hohen Ansehen dieser Auszeichnung beiträgt. Doch obwohl das Spiel des Jahres undotiert ist, brauchen sich die Brettspiel-Autoren Michael Palm und Lukas Zach gegenüber dem vierköpfigen Toukana-Team, das beim DCP gewonnen hatte, nicht wirklich zurückgesetzt fühlen. Taten sie auch nicht. „Wir laufen nicht, wir schweben immer noch“, sagte Palm am Morgen nach der Preisverleihung, als er zur Pressekonferenz kam.
Das Renommee der Spiel-des-Jahres-Auszeichnung ist erheblich. Obwohl sie ein Preis für das deutschsprachige Spiel ist, ist die weltweite Bedeutung so groß, dass sie oftmals mit den Film-Oscars verglichen wird. Das erklärt auch die vielen emotionalen Momente bei der Preisverleihungs-Zeremonie in der Berliner nhow Music Hall: bei Dorfromantik, dem Kinderspiel des Jahres Mysterium Kids und dem Kennerspiel-Sieger Challengers, wo es sogar Tränen vor Freude gab.
Auch bei Challengers wird viel über Anleihen aus der Computerspielwelt gesprochen, was sich hier tatsächlich im sehr außergewöhnlichen Spielgefühl wiederfindet. Denn es lehnt sich an das „Auto-Battler“-Genre an, wo die eigenen Helden die gegnerischen Champions automatisiert bekämpfen. Bei dem analogen Turnierspiel Challengers geschieht das ganz ähnlich, wenn der eigene – zuvor möglichst geschickt zusammengestellte – Kartenstapel auf den der gegenübersitzenden Spielerin trifft. Hingegen ist bei einer analogen Dorfromantik-Partie überhaupt nichts davon zu spüren, dass es einen Zusammenhang mit einem Videogame gibt. Denn selbst das Freischalten des nächsten Levels, für das man im Dorfromantik-Brettspiel kleine Schachteln mit neuen Spielelementen öffnet, ist in der analogen Spielewelt längst etabliert.
Ich bin skeptisch, ob die vielen Vergleiche mit dem Computerspiel dem analogen Dorfromantik nützen. Denn das kann auch als Anbiederung an den offenbar bedeutenderen Verwandten missverstanden werden, und am Ende wird das Brettspiel nur noch als Anhängsel gesehen. Auf der anderen Seite ist es natürlich für viele, gerade auch jüngere Leute, sehr gut, wenn die Berichterstattung sie da abholt, wo sie sich heimisch fühlen – also eher im Digitalen. Zumal ja nicht nur die Gemeinsamkeiten deutlich werden, sondern insbesondere auch die Unterschiede betont werden. Ein gutes Computerspiel werde eben kein gutes Brettspiel, indem man es eins zu eins in die analoge Welt überträgt, folgert die Süddeutsche Zeitung aus dem Gespräch, das sie mit Manuel Fritsch geführt hat. Dieser ist Fachjournalist für Videogames und als Brettspielexperte gleichzeitig Mitglied der Spiel-des-Jahres-Jury. Es sei ratsam, sich vom Vorbild zu entfernen, denn „Brettspiele sind eben Gruppenerlebnisse“, heißt es in Süddeutschen. Bei Dorfromantik habe der Sprung zum computerlosen Spiel geklappt: „Hier haben die Autoren aus einem friedlich dahinfließenden Solo-Game ein Gemeinschaftsspiel gemacht.“
» Süddeutsche Zeitung: Vom Bildschirm aufs Spielbrett
» Spiegel: Glück aus der Schachtel
» Abgewürfelt: Spiel des Jahres
Seit über 200 Jahren gibt es Patience.
Schachaufgaben gibt es seit über 1.000 Jahren.
„Brettspiele sind eben Gruppenerlebnisse“ ist einfach zu kurz gesprungen.
Zum Thema Förderung, siehe Mastodon: be careful what you wish for.
Eine Branche an den Fördertropf zu legen, will gut überlegt sein. Das einzige was man sich aus der Filmförderung abschauen könnte, ist vielleicht die Unterstützung durch die Goethe Institute: also Spiele-Abende mit deutschen Spielen im Ausland anbieten. Aber bei Förderung, die in den Markt und die Kreativität eingreift, ist größte Vorsicht geboten.
Danke für den Hinweis. Ich bin, was die Förderung angeht, deiner Meinung. Die Branche benötigt keine Steuergelder. Spiele in Kulturzentren, in Bibliotheken und an anderen öffentlichen Orten: da kann ich mir beispielsweise mehr Engagement von Bund, Ländern und Kommunen vorstellen.
Das Beispiel mit den Patiencen und den Schachaufgaben finde ich nicht so treffend, weil es hier offensichtlich um das moderne Brettspiel geht. Trotzdem greift die Süddeutsche Zeitung mit den „Gruppenerlebnissen“ natürlich etwas kurz, weil sehr viele Menschen zu zweit spielen und es zudem, insbesondere seit der Pandemie, immer mehr Spiele mit Solooption gibt. Trotzdem kommt meines Erachtens rüber, was die Süddeutsche meint: Zwar gibt es auch Multiplayeroptionen bei vielen Videogames (und bei einer Lan-Party auch reales gemeinsames Erleben), aber sehr oft werden sie eben doch solo gespielt: eine Brettspielumsetzung hebt das Spiel dann auf ein anderes Level, wenn es für ein Gemeinschaftserlebnis sorgt (unabhängig davon, ob es auch im Analogen eine optionale Solovariante gibt.).
Danke für die ausführliche Antwort! Die Verbreitung des Spielens über öffentliche Orte finde ich auch sehr wichtig!
Ich bin noch aus der Generation in der auch das Nintendo Spiel eher ein lokales Gruppenerlebnis war und sehe ähnliches heute bei meinen Nichten und Neffen. Generell muss man die Aktivitäten nicht gegeneinander ausspielen. Gerade die jüngeren wechseln nahtlos hin und her