Weißer Rauch ist aufgestiegen. Azul, das meistgehypte Spiel in der Szene, das raffinierte Rennspiel Luxor und das verblüffende The Mind werden mit einer Nominierung für das Spiel des Jahres 2018 ausgezeichnet (alle ab 8 Jahre). Beim Kennerspiel haben Ganz schön Clever (ab 10), das den Widerspruch zwischen Taktik und Würfelglück auflöst, das anspruchsvoll strategische Heaven & Ale (ab 12) sowie das eingängige Quacksalber von Quedlinburg (ab 10), das einen von der ersten Minute an in seinen Bann zieht, die Nase vorn.
» Nominierungs- und Empfehlungslisten 2018
Vor neun Jahren hatte ich in einem Bericht, der auf spieldesjahres.de erschienen war, geschrieben: „32 Spiele hat die Kinderspiel-Jury im Gepäck, als sie zur Klausurtagung nach Heidelberg reist. Die Aufgabe ist klar – mindestens 17 Spiele müssen mit einem weitmaschigen Sieb aussortiert werden.“ Damals durfte ich über das Kinderspiel des Jahres mitentscheiden. Nach einer langen Pause bin ich jetzt wieder bei der Jury-Klausurtagung dabei, die am Ufer des Seerheins in der Bodenseestadt Konstanz stattfindet. Diesmal geht es für mich nicht um das „blaue“ Kinderspiel, sondern um das „rote“ Spiel des Jahres und das „anthrazite“ Kennerspiel. Der Ablauf ist der im Prinzip der gleiche. Jetzt liegen 35 Spiele auf dem Tisch, und es muss solange aussortiert werden, bis ungefähr 15 Titel übrigbleiben. Jedes der 35 Spiele wurde bei dem schriftlichen „Infolauf“, bei der die Jurymitglieder ihre 15 Favoriten für die Nominierungs- und Empfehlungslisten genannt haben, mindestens einmal genannt.
Wie kann man sich die Klausur vorstellen? Die 35 Spiele sind zwar im Raum, gespielt werden sie aber nicht (außer abends, da aber nur „zum Spaß“). Sondern gespielt wurde in den Wochen und Monaten vorher, ungezählte Male. Zuletzt habe ich bei der Zuganreise noch sieben Partien vier unterschiedlicher Spiele geschafft. Das mussreichen. Nun bleiben die Schachteln geschlossen und dienen dazu, die Entscheidungen „visuell“ erlebbar zu machen.
„Zuerst kommen die Spiele an die Reihe, die nur eine Stimme bekommen haben. Über sie wird nach je einem erläuternden Plädoyer und einer kurzen Diskussion abgestimmt“, habe ich vor neun Jahren geschrieben. Das ist immer noch so. Jedes Jurymitglied hat eine grüne und eine rote Spielkarte, um damit seine Stimme abzugeben. Eigentlich kommt es dabei nur auf die grüne Karte an. Jedes auserkorene Spiel braucht die Mehrheit der 10 Jurymitglieder, also sechs grüne Stimmkarten. Genau das ist das „Geheimnis“ der Spieleauswahl. Denn grundsätzlich wählbar ist jede deutschsprachige Neuerscheinung, die im Handel erhältlich ist. Es gibt kein objektives Kriterium, das ein Spiel von vornherein ausschließt. Auch wenn Spielkritik keine Willkür ist und sich die Jurymitglieder auf vieles schnell einigen können: Am Ende ist muss jeder Kritiker subjektiv entscheiden, und so bleibt Raum für jede Menge Kampfabstimmungen. Ein Spiel nach dem anderen verfehlt die Mehrheit, und die dazugehörige Schachtel wandert auf das Regal am anderen Ende des Raumes, wo sich eine Art Trauergemeinde zusammenfindet. Jubeln konnten hingegen die Spiele auf dem Siegertisch (Foto siehe oben).
Doch die Abstimmungen enden nicht mit der Festlegung auf die 15 Spiele. Sondern es geht weiter. Wollen wir das erste Mal seit acht Jahren wieder einen Sonderpreis vergeben? Ja – Pandemic Legacy Season 2 (ab 14) hat ihn verdient. Welches Spiel ist rot, welches ist anthrazit? Das ist eine Frage, die in diesem Jahr wohl so diffizil wie selten war. Und welche sechs Titel kommen auf die beiden Nominierungslisten?
Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit der Auswahl. Bereits die Nominierungen verdeutlichen die Vielfalt des Spieleangebots. Hinzu kommen die Empfehlungslisten, die ausdrücklich keine „Bestenlisten“ sind, sondern auch die Unterschiedlichkeit herausheben: das kommunikative Facecards (ab 10), das kooperative Echtzeitspiel 5-Minute Dungeon (ab 8), das großartige Majesty (ab 10), die eingängige Memoryvariante Memoarrr! (ab 8), das Zwei-Personen-Spiel Santorini (ab 8) und das knifflige Woodlands (ab 10). Hinzu kommen die beiden „anthraziten“ Titel Klong (ab 12) und Pioneers (ab 10).
Noch mal zurück zu meinem Artikel von 2009: „Gleichzeitig war ich ein wenig erschrocken, dass bei einer bedeutenden Anzahl an Spielen die Anleitungen nicht fehlerfrei waren oder noch mehr redaktioneller Arbeit bedurft hätten.“ Leider gilt diese Problematik ganz genauso auch noch 2018. Manch ein gutes Spiel scheitert allein an diesem Kriterium. Was nützt ein brillanter Spielablauf, wenn niemand die Anleitung versteht?