The Mind ist das vielleicht verblüffendste Spiel überhaupt. Wenn es denn überhaupt ein Spiel ist. Die Regeln sind extrem reduziert, man kann sich zuerst gar nicht vorstellen, dass so etwas funktioniert. Jeder bekommt eine der von 1 bis 100 durchnummerierten Spielkarten. Zufällig gezogen und verdeckt. Jeder sieht sich seine Karte an. Dann legen alle Spielerinnen und Spieler ihre rechte Hand auf den Tisch, konzentrieren und synchronisieren sich. Denn sie müssen, ohne miteinander zu sprechen, die Karten in der korrekten, aufsteigenden Reihenfolge auf den Tisch legen.
Synchronisieren? Wenn ich das Spiel erkläre, schauen mich die Leute an, als ob mir das zu viel Spielen zu Kopf gestiegen sei. Trotzdem legt der erste Spieler – mit skeptischer Miene – die 9 auf Tisch, und der Mitspieler folgt mit der 17. Dann entsteht eine lange, schweigende Pause. Reden ist ja verboten. Endlich wird die 56 gespielt, und die 75 folgt risikolos. Die erste Runde ist einfach. In den nächsten Runden wird an die die Spieler jedes Mal eine Karte mehr verteilt. Dann wird es schwer.
Zuletzt habe ich The Mind auf einer Geburtstagsfeier mit sehr vielen Gästen dabeigehabt. Ich habe ein paar Leute angesprochen, ihnen je eine Karte in die Hand gedrückt und ihnen versichert, dass das Spiel super einfach sei und nicht lange dauert. Dabei benehme mich wie ein Taschenspieler, der mal etwas anderes dabei hat, als das altbekannte Hütchenspiel. Zu meiner eigenen Unterhaltung reicht es, die Reaktionen der anderen zu beobachten, ich muss noch nicht einmal selbst mitspielen. Mehr Spaß macht es jedoch, wirklich dabei zu sein. Was dann eben auch ein Beweis dafür ist, dass The Mind ein wirkliches Spiel ist. Und nicht nur ein psychologisches Experiment, von dem man ganz schnell wieder die Finger lässt.
Dass The Mind funktioniert, lässt sich ganz profan erklären. Man muss nämlich sein Zeitgefühl miteinander synchronisieren. Je länger man spielt, bekommt man ein wachsendes gemeinsames Gefühl dafür, wie groß der Abstand zwischen den Zahlen ist. Spielerisch interessant ist es, wie man das Verbot der verbalen und nonverbalen Kommunikation umgeht, was dann legitim ist, wenn man nicht versucht, auf eine präzise Ziffer hinzuweisen. Aber betont desinteressiert gucken, überaus bedächtig ein paar Schluck Bier trinken … alles das macht man, wenn die eigene Karte noch ganz weit davon entfernt ist, auf den Tisch gelegt zu werden. Das bei anderen Spielen verpönte Warten auf grübelnde Mitspieler, „Downtime“ genannt, ist bei The Mind Programm.
The Mind ist ein überaus gutes Spiel, auch wenn es sicherlich keinen endlosen Wiederspielreiz besitzt. Meine zusammengewürfelten Partymitspieler haben sich das Spiel am nächsten Tag selbst besorgt. Ob sie es einfach nur spielen wollen oder es dem Nächsten als Taschenspielertrick vorführen möchten, weiß ich nicht.
The Mind: Lasst uns eins werden …! von Wolfgang Warsch. NSV